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«Es ist an unserer Generation, aktiv zu werden»

In der Gemeinde Sainte-Croix VD produziert ein Windpark seit Kurzem Strom für 20 000 Menschen. Die anfänglichen Widerstände gegen die Anlage haben sich gelegt.

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Das Graffiti erzählt von vergangenen Kämpfen. «Windräder nein!» steht am Dorfeingang von Sainte-Croix auf einer Betonwand geschrieben. Noch ist die blau gesprayte Schrift gut zu lesen, doch die Zeiten, als hier erbittert über den Windpark gestritten wurde, sind vorbei. Die sechs Windräder sind gebaut und Anfang dieses Jahres ans Netz gegangen. Nun ist es im Hauptort des «Balcon du Jura» Zeit, nach vorn zu blicken.

«Wir können stolz darauf sein, dass wir mehr erneuerbare Energie produzieren, als wir verbrauchen», sagt Cédric Roten, der Gemeindepräsident von Sainte-Croix. Wir treffen ihn im Hôtel de Ville. Das etwas überdimensionierte Verwaltungsgebäude zeugt von Zeiten, als das knapp 5000 Einwohnerinnen und Einwohner zählende Dorf ein florierender Industrieort war. Inzwischen haben zahlreiche Fabriken ihre Tore für immer geschlossen, und Cédric Roten spricht von einem «Imageproblem». Der Windpark, so ist er überzeugt, wird dazu beitragen, dass sich das Bild seiner Gemeinde wieder aufhellt. Vom Büro des Gemeindepräsidenten aus sind drei der Windräder gut zu sehen – gemächlich drehen sich ihre Flügel am Horizont über dem bewaldeten Mont des-Cerfs.

Cédric Roten ist bereits der fünfte Gemeindepräsident, der sich mit dem Windpark-Dossier abzumühen hatte. Immer «unparteiisch» und «transparent», wie er betont. Von den ersten Plänen bis zur Realisation dauerte es 25 Jahre, nur zwei davon waren für den Bau nötig. Das Projekt war geprägt von Kontroversen, Rekursen und Gerichtsentscheiden – ganz zu schweigen von den persönlichen Ansichten, welche die Dorfgemeinschaft in zwei Lager spalteten. Die wichtigsten Argumente der Gegner: Eingriffe ins Landschaftsbild und Lärm.

Projekt von nationaler Bedeutung

Jetzt, wo die Windräder stehen, haben sich die Befürchtungen gelegt. Der Gemeindepräsident erzählt von Gesprächen, in denen Bürgerinnen und Bürger einräumen, die Nachteile seien wohl doch nicht so schlimm, wie sie einst dachten. Cédric Roten betont, letztlich sei es um eine Güterabwägung gegangen. Angesichts des Klimawandels könne man doch nicht tatenlos bleiben. «Es ist an unserer Generation, aktiv zu werden», sagt er. Und um in Sainte-Croix erneuerbare Energien zu produzieren, seien Windräder die «am wenigsten schlechte Lösung». Der Windpark sei schliesslich nicht bloss eine lokale Angelegenheit, sondern von nationaler Bedeutung. Tatsächlich wurde mit Inbetriebnahme der Anlage der Anteil der Windkraft an der Schweizer Stromproduktion um 15 % gesteigert.

Nun also stehen sie da, die sechs Windräder, verteilt auf zwei Standorte mehrere Kilometer ausserhalb des Dorfs. Beim Weiler La Gittaz ragen zwischen Tannen drei Masten turmhoch in den Himmel. Elegante Silhouetten zwar, aber ein ungewohnter Anblick auf den verträumten Juraweiden.

Windkraft für die Energiezukunft

Bei der Eröffnungsfeier war viel vom Beispielcharakter des neuen Windparks die Rede – für den Kanton Waadt und darüber hinaus. «Das ist ein historischer Tag», sagte etwa der Waadtländer Regierungsrat Vassilis Venizelos, «wenn wir die Energiezukunft schaffen wollen, sind wir auf die Windkraft angewiesen.» Wie er ausführte, könnte damit in der Waadt ein Viertel des Strombedarfs gedeckt werden, insgesamt 19 Standorte bieten sich für einen Windpark an. Von der befürchteten Lärmbelastung und dem Eingriff in die Landschaft sprach bei der Feier jedoch kaum jemand – oder wenn, dann mit um gekehrten Vorzeichen. «Ich persönlich finde die Windräder wunderschön», meinte der prominente Klimaaktivist und Chemie-Nobelpreisträger Jacques Dubochet.

Etwa in der Mitte der sechs Windräder von Sainte-Croix liegt ein gemütlicher Landgasthof, das «Café de la Gittaz». Der Patron heisst Alain Meuwly. Was hält er vom Windpark in seiner Nachbarschaft? «Ich bin weder dafür noch dagegen», sagt der Geschäftsmann und lacht: «Es ist wie mit der Religion oder dem Sport – will man keine Kunden verlieren, hält man sich da am besten raus.» Negatives allerdings könne er auch nicht über die Windräder berichten.

Der Restaurantbesitzer ist nicht der Einzige, der sich entspannt gibt. In Sainte-Croix wollen sich die Menschen mittlerweile nicht mehr die Köpfe heiss reden über das Thema, welches jahrzehntelang für so viel Zwist gesorgt hat. Was aber nicht heisst, dass sich die Brisanz ganz gelegt hätte: Immerhin waren die Windräder heuer Sujet beim traditionellen Fasnachtsumzug.

Wir können stolz darauf sein, dass wir mehr erneuerbare Energie produzieren, als wir verbrauchen.
Cédric Roten, Gemeindepräsident von Sainte-Croix

«Windexpress» seit Anfang Jahr in Kraft

Analog zum «Solarexpress» will der «Windexpress» den Bau von Windenergieanlagen von nationalem Interesse in der Schweiz beschleunigen. Dazu hat das Parlament im vergangenen Jahr eine Übergangsbestimmung im Energiegesetz eingeführt, welche die Verfahrensschritte etwas abkürzt und die Einsprachemöglichkeiten leicht einschränkt. Die neuen Bestimmungen traten am 1. Februar 2024 in Kraft. Neu ist für die Baubewilligung eines Windparks nicht mehr die Standortgemeinde zuständig, sondern der Kanton. Zudem gehen Einsprachen gegen die Baubewilligung direkt an das obere kantonale Gericht. Einsprachen gegen die Baubewilligung ans Bundesgericht sind nur zulässig, wenn sich Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen. Wichtig zu wissen ist, dass das vereinfachte Verfahren nur für Anlagen gilt, für die eine Gemeinde bereits einen Nutzungsplan beschlossen hat. Die Bürgerinnen und Bürger können sich also gegen einen Windpark auf ihrem Gemeindegebiet aussprechen, indem sie den Nutzungsplan ablehnen.

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