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Kleinwasserkraft ist gross im Kommen

Kleinwasserkraftwerke haben in der Schweiz eine lange Tradition, gerieten aber in Vergessenheit. Jetzt sind die Anlagen wieder gefragt – als dezentrale und nachhaltige Stromlieferanten.

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Im 19. Jahrhundert lockte es die Textilindustrie, Papierfabriken und Stahlwerke an den unteren Lauf der Emme. Diese schöpften den Strom für ihre Produktionsanlagen aus dem Fluss. Doch die Emme ist launisch. Oft genug trat der Fluss über die Ufer und überschwemmte die umliegende Landschaft und die Häuser der Menschen. Mittlerweile ist der Industrieboom im sogenannten Wasseramt Geschichte, aber noch immer erinnern rund 25 Kleinwasserkraftwerke zwischen Burgdorf und der Aaremündung an die goldenen Zeiten.

Strenger Gewässerschutz

Viele Anlagen liegen an den beiden Industriekanälen, die damals erbaut wurden. Der untere beginnt nach dem Wehr von Biberist. Dieses musste vor zwei Jahren grundlegend saniert werden, da das Wasser der Emme jahrzehntelang fast ausschliesslich in den Kanal mündete. Heute fliesst eine ausreichende Restwassermenge für Flora und Fauna wieder durchs natürliche Flussbett. Gleichzeitig wurde am Fuss des Wehrs ein Kleinwasserkraftwerk erbaut, um die Restwassermenge für die Stromproduktion zu nutzen. Dieses muss – wie alle Neuanlagen – den strengen Regeln des Gewässerschutzes entsprechen. Das revidierte Gewässerschutzgesetz verlangt, dass Fische frei flussaufwärts und -abwärts wandern können. Zudem müssen sich Kies und grössere Steine im Flusslauf verschieben können.

120 Anlagen für grünen Strom

Von den verschärften Auflagen sind auch bereits bestehende Kleinwasserkraftwerke betroffen. Genügen diese den gesetzlichen Auflagen nicht, müssen sie spätestens bis 2030 angepasst werden. Die Kosten für solche ökologischen Sanierungen werden vom Bund übernommen. Er stellt dafür eine Milliarde Franken zur Verfügung. Die Kantone hielten in den vergangenen Jahren in einem Masterplan fest, wo genau Handlungsbedarf besteht. Derzeit sind die Betreibenden daran, die Verfügungen umzusetzen. In diesem Zug kam es auch zur Sanierung des Wehrs Biberist. Der Umbau beanspruchte fünf Millionen Franken.

Für die Sanierung und den Betrieb des Wehrs Biberist ist die ADEV Energiegenossenschaft verantwortlich. Sie ist Mitglied der Emmenkanalgesellschaft, die vier Wasserkraftwerkbetreiber umfasst. Die ADEV, ein genossenschaftlich organisiertes Unternehmen, geht auf die Anti-Atomkraftbewegung der 1980er-Jahre zurück. Mittlerweile besitzt das in Liestal (BL) ansässige Unternehmen rund 120 Anlagen, in denen mit Sonne, Wind, Wasser und Wärme Strom produziert wird – jährlich rund 50 Millionen kWh. Rund ein Drittel davon stammt aus den elf Kleinwasserkraftwerken. Fünf davon stehen am unteren und oberen Emmenkanal.

Unsere Idee, Strom nachhaltig und dezentral zu produzieren, überzeugt immer mehr.
Andreas Appenzeller, Verantwortlicher Spezialprojekte

Dezentral und nachhaltig

Am Stammhaus der ADEV und seinen spezialisierten Tochterfirmen sind rund 2200 Genossenschafterinnen und Genossenschafter, Aktionärinnen und Aktionäre beteiligt. Die Nachfrage nach Anteilsscheinen ist gross. «Unsere Idee, Strom nachhaltig und dezentral zu produzieren, überzeugt immer mehr», sagt Andreas Appenzeller, der das Unternehmen in den vergangenen 30 Jahren mit aufgebaut hat und diesem 13 Jahre als Vorsitzender der Geschäftsleitung vorstand. Kleinwasserkraftwerke folgen der gleichen Idee wie die Energiegenossenschaft. Sie erzeugen dort Strom, wo er benötigt wird. Die Kleinwasserkraftwerke der ADEV decken zwischen 10 und 100 % des Strombedarfs der jeweiligen Standortgemeinden ab.

Die Wasserkraft ist als zuverlässige, ausgereifte und nachhaltige Technologie zur Energieproduktion anerkannt.
Martin Bölli, Geschäftsleiter

Auch der Verband Swiss Small Hydro (SSH) verweist auf die Bedeutung der Kleinwasserkraftwerke. Der Verband wurde 1982 gegründet, umfasst rund 400 Mitglieder und setzt sich für deren Anerkennung und Zukunft ein – in der Politik, aber auch in der Gesellschaft. «Die Wasserkraft ist als zuverlässige, ausgereifte und nachhaltige Technologie zur Energieproduktion anerkannt», sagt Geschäftsleiter Martin Bölli. «Die Anlagen lassen sich besonders gut und ökologisch in die Gewässer integrieren.»

Viele Kleinwasserkraftwerke produzieren vor allem Winterstrom. Sie liefern also dann Energie, wenn der Bedarf besonders gross ist und uns eine Versorgungslücke droht.
Martin Bölli, Geschäftsleiter

Ausbau ökologisch sinnvoll

Im 19. Jahrhundert versorgten über 10'000 Kleinwasserkraftanlagen Industrie und Gewerbe mit Energie. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts standen noch 7'000 Kleinanlagen in Betrieb. Ein beachtlicher Teil davon wurde bis in die 1980er-Jahre stillgelegt, da der Strom aus grossen Kraftwerken zu fliessen begann. 1990 aber nahm das Volk den Energieartikel in der Bundesverfassung an und begründete damit eine neue wirtschaftliche Basis für erneuerbare Energien. Stillgelegte Wasserkraftanlagen wurden vermehrt reaktiviert. 2008 wurde die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) eingeführt, die 2018 durch ein neues Einspeisevergütungssystem (EVS) abgelöst wurde. Damit konnten auch Kleinwasserkraftwerke durchaus rentabel Ökostrom produzieren. «Und sie können es noch immer», bekräftigt Andreas Appenzeller von der ADEV. Martin Bölli sagt: «Viele Kleinwasserkraftwerke produzieren vor allem Winterstrom. Sie liefern also dann Energie, wenn der Bedarf besonders gross ist und uns eine Versorgungslücke droht.»

Schweizweit stehen noch immer rund 1'400 der kleinen Anlagen in Betrieb. Sie machen rund 10 % der gesamten schweizerischen Wasserkraftproduktion aus und versorgen mehr als eine Million Haushaltungen mit Strom. Werke, die diesem Bereich zugewiesen werden, haben eine Leistung von bis zu 10 Megawatt, die meisten davon sind aber wesentlich kleiner. Für Swiss Small Hydro ist sogar «ein Ausbau der Kleinwasserkraft sinnvoll und ökologisch und nachhaltig machbar».

Vor allem das Potenzial für Erneuerungen und Reaktivierungen stillgelegter Kleinwasserkraftwerke ist laut Swiss Small Hydro enorm. Durch technische Aufrüstung lasse sich die Stromproduktion um 30 bis 100 % steigern. Doch Kleinwasserkraftwerke mit einer durchschnittlichen Leistung von unter 300 kW sind bislang von der Förderung des Bundes ausgeschlossen, mit Ausnahme von Nebennutzungsanlagen wie Trink- und Abwasserkraftwerke. Grössere Anlagen erhalten Fördergelder bis maximal 60 % der anrechenbaren Baukosten. Swiss Small Hydro will, dass auch kleinere Anlagen davon profitieren. Ein entsprechender Antrag liegt auf den Schreibtischen des Parlaments.

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