Der Ausbau der Fernwärme läuft in der Schweiz auf Hochtouren. Die Projekte unterscheiden sich, haben aber alle das gleiche Ziel: eine klimaverträgliche Wärmeversorgung.
Papieri in Cham ZG: Erfahren Sie, wie aus dem ehemaligen Fabrikareal ein klimaneutrales Quartier wurde.
Gleich hinter dem Feuerwehrmagazin liegt die Energiezukunft von Fehraltorf. Die Gemeinde im Zürcher Oberland lässt für ihre rund 6900 Einwohnerinnen und Einwohner sowie 2900 Haushalte einen Fernwärmeverbund bauen. Sie kombiniert dabei Holz und Abwärme als Wärmequellen. Das künftige Schulhaus ist noch eingerüstet, im Untergeschoss ist die vorgesehene Wärmezentrale untergebracht. Man habe dringend mehr Platz, eine modernere Infrastruktur und eine neue Heizung für die Schulanlage benötigt, sagt Fritz Schmid, der parteilose Gemeinderat der kleinen Agglomerationsgemeinde. Er ist zuständig für Werke und Infrastruktur und präsidiert die Werkkommission, in der drei vom Gemeinderat gewählte Einwohnerinnen und Einwohner die Energiezukunft der Gemeinde mitbestimmen.
Zuerst plante die Gemeinde ein kleineres Wärmenetz auf dem Areal der Schulanlage «Heiget». Diese ist mit einer benötigten Leistung von 1,1 MW die grösste Wärmeabnehmerin im Dorf. Doch der Plan scheiterte. Die Gemeinde gab eine Detailstudie für ein umfassenderes, thermisches Netz in Auftrag. Das Resultat: Fernwärme rechnet sich auch im Grossformat, also wurde ein Ausbau beschlossen. Dies aber nicht nur aus ökonomischen Gründen. Die Gemeinde möchte einen Beitrag leisten, die Schweiz CO₂-neutral zu bekommen.
Schweizweit sind derzeit nach Angaben des Verbandes Thermische Netze Schweiz (TNS) knapp 1400 Fernwärmenetze in Betrieb, deren Wärmeabsatz soll bis 2050 verdoppelt werden. Zur Zeit liegt der Absatz knapp über 9 Terawattstunden (TWh). Das Potenzial beträgt laut dem Weissbuch Fernwärme Schweiz rund 18 TWh. Basel beispielsweise vollzieht die Wärmewende im grossen Stil, genauer IWB, das Unternehmen für Energie, Wasser und Telekommunikation des Kantons Basel Stadt.
Stefan Mathys, Leiter Werke und Infrastruktur bei der Gemeinde Fehraltorf, nennt ein anderes Argument für ein Fernwärmenetz. Viele Menschen und Betriebe im Ort hätten nicht die nötigen Mittel, um den Umstieg auf erneuerbar produzierte Wärme selbst zu vollziehen. Eine Anschlusspflicht an die Fernwärme ist in Fehraltorf zwar nicht geplant, viele werden die Möglichkeit aber wohl freiwillig nutzen.
Laut der Detailstudie sprechen der attraktive Preis aber auch andere Faktoren dafür: Das Siedlungsgebiet ist kompakt und eben. Erdsonden-Wärmepumpen sind nur an wenigen Standorten realisierbar. Der Zeitplan ist sportlich: Bereits im Herbst 2024 sollen die ersten Gebiete mit Wärme beliefert werden. Andere Gemeinden und Städte stehen ebenfalls am Anfang des Ausbaus. Winterthur folgt dabei – wie Basel – einem Auftrag der Bevölkerung. Hier setzt man vor allem auf Quartierwärmeverbünde, die Wärme gemeinsam aus einer Zentrale beziehen. In Zürich wird geprüft, langfristig die grossen Verbünde zu einem integrierten Wärmenetz zu verbinden.
Die Fernwärmenetze der Limmatstadt werden etappenweise ausgebaut. Bis 2040 sollen sie rund 60 % des Siedlungsgebietes abdecken, die Energielieferung mehr als verdoppeln und mit zwei Terawattstunden jährlich Zehntausende Tonnen CO2 einsparen. Zwei bisher voneinander unabhängige Fernwärmenetze werden dafür verbunden und die Hauptleitungen in einem beeindruckend grossen Tunnel zusammengeführt. Ausserdem kommen schrittweise weitere 20 Quartierwärmeverbünde dazu. Auch die Organisation der grossflächigen Netze wird umgekrempelt: Die Verantwortung geht von bisher drei Betreibern zum Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (ewz) über.
Sinnbildlich für die Herausforderungen sind die Bauarbeiten mitten in der Stadt Zürich am Basteiplatz. Sichtbar ist nur ein grosses Loch. Darunter entsteht ein Zugang zum Mikrotunnelsystem des Seewasserverbunds CoolCity, der ab 2031 erste Gebäude versorgen soll. Das Aufgabenfeld der Verantwortlichen ist komplex: Unter anderem gilt es, Wärme aus unterschiedlichsten Energiequellen – vom Seewasser über Abwärme aus Rechenzentren bis zum Holzkessel – im Netz zusammenzubringen. Der Anschluss ans Fernwärmenetz benötigt Zeit, weil dafür zuerst die Leitungen bis zum jeweiligen Gebäude gebaut werden müssen. Zeit, die Hauseigentümerinnen und -eigentümer vielleicht nicht haben. Sie erhalten provisorische fossile Lösungen, sollte ihr Fernwärmeanschluss erst in Zukunft möglich sein.
Er empfiehlt Gemeinden, geeignete Gebiete in einer kommunalen Energierichtplanung auszuscheiden. Hauseigentümerinnen und -eigentümer erhalten aber nicht zwingend einen Anschluss an ein Wärmenetz. Sie müssen sich nach individuellen Lösungen umsehen, wollen sie alte Anlagen ersetzen. Denn der Anschluss von Einfamilienhäusern ist für viele Wärmenetzbetreiber unwirtschaftlich.
Wer sein Einfamilienhaus an ein bestehendes Fernwärmenetz anschliessen will, muss sich beim entsprechenden Versorger melden: Erneuerbar heizen mit Fernwärme. Dieser wird die Voraussetzungen vor Ort prüfen und bei einem genügend hohen Wärmebedarf der Liegenschaft eine Offerte für den Anschluss bis ins Haus unterbreiten. Die Kosten für einen Anschluss sind individuell. Allfällige Anpassungen im Gebäude gehen zulasten der Eigentümerschaft.
Pascal Leumann, bisher Geschäftsführer der städtischen Abteilung «Wärme Zürich» und seit 1. Mai 2024 Leiter Strategie thermische Netze bei ewz, empfiehlt überdies: Liegenschaften sollten vor dem Anschluss an die Fernwärme in jedem Fall saniert werden. Für Hauseigentümerinnen und -eigentümer kann es unter Umständen mehrere Jahre bis zum Anschluss dauern. Um ein thermisches Netz sicher planen und später wirtschaftlich unterhalten zu können, benötigen die Betreiber möglichst früh Zusagen sowie unterschriebene Verträge. Eine Anschlusspflicht gibt es jedoch auch in Zürich nicht. Es sei nicht absehbar, dass sich daran etwas ändern wird, sagt Pascal Leumann. Problematisch für die Betreiber ist das aber nicht. Denn viele
Hauseigentümerinnen und -eigentümer haben trotzdem keine freie Wahl. Aus einfachem Grund: Alternativen sind besonders im gedrängten urbanen Raum aus baulichen oder gesetzlichen Gründen kaum umsetzbar.
Ob in der Stadt oder in ländlichen Gegenden: Bis zu 40 % des gesamten Energiebedarfs für Raumheizung und Warmwasser sollen bis 2040 thermische Netze liefern. Das zumindest wird angestrebt. Andreas Hurni erachtet aber 25 bis 30 % als realistischer, trotzdem ist dieser Anteil rundum ein Gewinn. Er würde durchschnittlich 2500 Liter Öl pro Haushalt und Jahr einsparen sowie einen Rückgang der CO2-Emissionen um 5 Millionen Tonnen bewirken.
Im zugerischen Cham entsteht auf dem Areal der ehemaligen Papierfabrik ein neuer Stadtteil, der zu 100 % auf erneuerbare Energien setzt. Es handelt sich um das erste 2000-Watt-Areal im Kanton Zug und ist somit auch CO2-frei. 1000 Wohnungen und 1000 Arbeitsplätze werden hier seit 2019 in mehreren Bauetappen realisiert. 2022 sind die ersten «Papieri-People» eingezogen und Mieter, Eigentümer sowie Gewerbebetriebe haben ihr neues Zuhause bezogen. In die Gebäude der zweiten Etappe zieht ab Ende 2024 Leben ein.
Geothermie sowie die thermische Energie des Flusses Lorze liefern Wärme und Kälte. Der Strom wird fast zur Hälfte auf dem Areal selbst produziert und stammt aus einem Wasserkraftwerk sowie aus Photovoltaik. Das eigene Stromnetz ermöglicht den Zusammenschluss zum Eigenverbrauch und treibt die Wärmepumpen an. Die Energieflüsse auf dem Areal werden kontinuierlich gemessen, Verbrauch und Produktion in der Balance gehalten.
Nicht zuletzt sorgt das Energiemanagement mit modernster Informationstechnik und Algorithmen auch bei den Bewohnenden und Arbeitenden für einen hohen Selbstversorgungsgrad. «75 % sind es im Endausbau», erklärt Stefan Frey, Leiter technisches Gebäude- und Energiemanagement der Cham Group. Diese betreibt den Quartierverbund als eigener Kontraktor, trägt also die Risiken. Warum das Konzept so überzeugend ist, dass es sogar den diesjährigen Schweizer Energiepreis Watt d’Or erhalten hat, ist schnell erzählt: Erst haben die Planer das Energiesystem konzipiert und dann den Stadtteil mit seinen 24 Gebäuden. Normalerweise ist es umgekehrt. So ist ein autarker Energiecluster entstanden, der als Nebeneffekt auch die überregionale Stromversorgung entlastet.